Sauerland Seelenorte

Sauerland Seelenorte, das sind Orte, zu denen Menschen wandern und wo sie abschalten können. Das sind Felsen und Steinbrüche, Kirchen und Bergkuppen, mächtige Bäume und unterirdische Grotten, Seen und Täler. Entdecke die vier Seelenorte am Diemelsee und lerne das Wandern im Sauerland neu kennen.

"Lebendige Stille, ankommen bei dir..."

Sauerland Seelenorte

Es gibt sie noch, die ganz besonderen Orte, die Aussichten, die uns den Atem rauben. Die speziellen Plätze und Momente, die unsere Sehnsüchte und Träume beflügeln.

Sie berühren die Menschen emotional, geistig und spirituell. Sie rufen starke Resonanzen hervor. Es sind Orte, wo die Menschen abschalten können. Zu sich kommen. Die Ruhe genießen. Inspiriert werden. Neue Einsichten gewinnen.

Auch wenn jeder Seelenort seine eigene Geschichte erzählt, gibt es eine Qualität, die alle verbindet: Lebendige Stille.

Sauerland Seelenorte© Klaus-Peter Kappest

Am Diemelsee sind es der Gipfel des St. Muffert, die Diemelsee Staumauer, die Klosterkirche in Flechtdorf und die Adorfer Klippen. Sie wurden ausgewählt, weil sie besonders beeindruckend sind und für die Menschen in ihrer Umgebung eine besondere Bedeutung besitzen. Nicht nur heute, sondern auch schon zu früheren Zeiten.

Seelenort: Gipfel des St. Muffert

Aussichtspunkt Diemelsee
Sauerland Seelenorte
Seelenorte

„Eine neue Sicht auf die Dinge“

Felsiger, mit Laubwald und Moos bewachsener Berggipfel mit Blick auf den Diemelsee.

„Ein Gefühl von Ehrfurcht stellt sich ein. Darüber …, wie auf lange Sicht all das Werden und Vergehen seine unbegreifliche Richtigkeit hat.“

Seelenort: Gipfel des St. Muffert
Wanderwege: Panoramaweg oder entlang des Diemelsteigs
Parkplatz: Wanderparkplatz Florenbicke (Seestr., Heringhausen)
Länge: 9,7 km

Es hat etwas Befreiendes an sich, wenn man oberhalb der Felsen aus dem Wald heraustritt, unter einem das klare Wasser des Sees und über einem das weitgespannte Firmament. Hier ist man dem Himmel und der Schöpfung näher und bekommt einen ungestörten Blick für das Wesentliche.

Eine neue Sicht auf die Dinge

Felsiger, mit Laubwald und Moos bewachsener Berggipfel mit Blick auf den Diemelsee.

Am Fuße der St.-Muffert-Klippe. Bevor wir hinaufkraxeln, stelle ich mir vor, es gäbe eine Seilbahn. So eine mit kleinen Gondeln, wie man sie von Freizeitparks kennt. Vom Ufer des Diemelstausees hinauf zum Gipfel. Unten mit Parkplatz und Imbissbude, oben mit Panorama-Café. Sicher, man hätte entlang der Seile eine Schneise in den schönen Wald schlagen müssen. Aber dafür wäre man in drei Minuten und ohne zu schwitzen nach oben gelangt. Klingt das verlockend? Meine kleine Fantasie hat einen realen Kern, den Plan für eine Seilbahn gab es wirklich mal. Er wurde, Gott sei Dank, verworfen. Nicht nur die Rodungen wären ein Frevel gewesen. Die Luftreisenden hätten sich auch um das Vergnügen einer Wanderung voller Entdeckungen gebracht. Der GeoPark-Führer Gerd Rosenkranz verspricht mir, auf dem Gipfel auch das Geheimnis zu lüften, wie das Sauerland eigentlich entstanden ist.

Der Pfad führt durch einen lichten Wald mit Buchen, Eichen, hier und da eine Esche und eine Hainbuche. „So sieht ein gesunder Bestand aus“, sagt Gerd, „und so wird es in vielen Gegenden des Sauerlands wieder aussehen, wenn sich die Fichten verabschiedet haben, weil sie die zunehmende Trockenheit im Sommer nicht aushalten.“ Wir queren mehrere kleine Quellen, an deren Verlauf sattgrüne Streifen von Bärlauch siedeln. Dort, wo der Hang steiler wird, verändert sich sofort die Szenerie. Die Bäume sind kleiner, verhutzelter, mit Ästen in irrwitzigen Verdrehungen. Sie behaupten sich auf unsicherem Terrain, aber es reicht nur für ein Leben mit bescheidenen Ansprüchen.

Die Wurzeln einer Eiche haben sich direkt in den fast senkrecht stehenden Schiefer gekrallt. Sie finden auch kleinste Spalten, so genannte Störungen, schieben sich hinein, immer auf der Suche nach Halt und nach Wasser. Wer hält hier wen? „Der Fels trägt den Baum“, sagt Gerd, „aber auch die Wurzeln halten den Stein.“ Klingt nach einem fairen Deal. Wir gelangen an eine Stelle, wo der Schiefer fast blank liegt. Wieder ein neues Bild. Wurzeln von Jungbäumchen, die sich hier ansiedeln wollen, werden von den scharfkantigen Steinplatten, die im Jahreslauf nach unten rutschen, einfach abrasiert. Keine Chance, hier alt zu werden.

Nach einer knappen Stunde gelangen wir auf den Gipfel, den eigentlichen Seelenort. Nachdem vorher das Wasser des Diemelsees immer nur kurz bläulich durchs Blattwerk blitzte, können wir ihn jetzt in seiner ganzen, vielarmigen Form sehen, gespeist von den beiden Zuflüssen Diemel und Itter. Mich berührt das Gipfelkreuz in seiner Natürlichkeit, bestehend nur aus zwei rohen Baumstämmen, karge Kraft, so wie der steinige Grund, auf dem es errichtet wurde. In seiner Nähe suchen wir uns einen möglichst sicheren Rastplatz am steil zum Ufer abfallenden Hang, nicht anders als die vereinzelt stehenden Eichen, deren Ausharren unter extremen Bedingungen sich in gewundenen Gestalten verkörpert hat.

Der Blick schweift über die Hügel und Berge unter uns. Mal von Wald bedeckt, mal als Wiesenhänge. Ein Puzzle aus Grüntönen. Bisher dachte ich, die „tausend Berge“ des Sauerlandes seien entstanden, als vor Urzeiten die Kontinentalplatten aneinanderstießen und sich dadurch Gebirge auffalteten. Ja und nein, sagt Gerd. „Die Auffaltungen wurden über Jahrmillionen durch Wind und Wetter wieder eingeebnet. Eine Art Hochfläche entstand.“ Und die ganzen Berge? Gerd deutet hinunter auf den Lauf der Diemel: „Flüsse und Bäche, die waren das. Man sagt ja: Steter Tropfen höhlt den Stein.“ Das Wasser als Skulpteur hat unterspült, weggeschwemmt, sich hineingefressen und tiefe und breite Kerben in die Ebene geschnitten. Die Berge sind also nur das, was die Erosionskraft des Wassers stehengelassen hat. Getrost könnte man das Sauerland auch „Land der tausend Täler“ nennen.

Wir sitzen noch lange unterm Gipfelkreuz. Werden stiller. Ich lasse unsere Wanderung noch einmal Revue passieren, entlang der Lebenszyklen von Bärlauch und Bäumen; der Gang durch die Erdzeitalter; die langsame Annäherung an den herrlichen Ausblick. Ein Gefühl von Ehrfurcht stellt sich ein. Darüber, wie die Naturkräfte des Erschaffens, Bewahrens und Zerstörens über Jahrmillionen wunderbar ineinandergreifen; wie Chaos und Ordnung zusammen einen endlosen Tanz aufführen, nie Gleichgewicht findend und bald wieder verlierend; wie auf lange Sicht all das Werden und Vergehen seine unbegreifliche Richtigkeit hat.

Und dann kommt mir angesichts des gerade Erlebten noch der Gedanke, was mir alles entgangen wäre – für drei Minuten Höhenschwindel in einer Seilbahn.

Autor: Michael Gleich

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Seelenort: Diemelsee Staumauer

„Kraft und Macht“

Die Mauer symbolisiert beides, Schutz und Gefahr.

Gelände am Fuß der Staumauer, der sich hier als 36 m hohe Bruchsteinmauer erhebt.

Seelenort: Diemelsee Staumauer
Wanderwege: H6 – Rund um den Diemelsee oder entlang des Diemelsteigs
Parkplatz: Wanderparkplatz Sauerland Waldroute (Am See, Helminghausen)
Länge: 12,7 km

Kraft und Macht

Gelände am Fuß der Staumauer, der sich hier als 36 m hohe Bruchsteinmauer erhebt.

Mein Vater war Maurer. Er beherrschte eine Technik, auf die er sehr stolz war: Er konnte Bruchsteine mauern. Die Schwierigkeit liegt darin, dass jeder Stein anders ist. Für jeden muss der richtige Platz gefunden werden, mit den richtigen Nachbarn. Egal wie krumm und kantig die Steine sind, die Wand muss nicht nur stabil, sondern soll auch glatt werden. Das kriegen nicht viele hin. Deshalb hätte er vermutlich gerne an der Staumauer des Diemelsees mitgearbeitet, wäre das zu seiner Zeit gewesen. Die Steine für die Staumauer, kaum verwitternder Diabas, wurden unweit der Baustelle gebrochen. Man rief 90 Bruchsteinmaurer aus Italien und Serbien, 1912 begann der Bau, kriegsbedingt und wegen Geldmangels wurde er erst 1924 fertiggestellt.

Seitdem steht die „gekrümmte Schwergewichtsmauer“, 42 Meter hoch, oben an der Krone knapp 200 Meter lang. Dunkelgrau ist der Diabas mit den Jahren geworden, hellgrau immer noch die Fugen. Nicht nur stabil, sondern auch glatt geworden ist das Mauerwerk. Ich stehe am Fuße der Mauer, lege den Kopf in den Nacken, um die gesamte Höhe bis in den Himmel zu erfassen, und denke nur ein Wort: Kraft. Das Gewicht der Steine vor mir kann ich förmlich spüren, das Gewicht von 20 Millionen Kubikmeter Wasser dahinter nur erahnen. Ein ungewöhnlicher Kraftort, der mich zu Assoziationen wie dieser inspiriert: Der Stausee betreibt eigentlich asiatische Kampfkunst. Er baut Kraft auf, lenkt sie und konzentriert sie auf einen Punkt, etwa die Turbinen, um möglichst durchschlagende Wirkung zu entfalten. Aqua-Karate, sozusagen.

Die Mauer symbolisiert beides, Schutz und Gefahr. Je stärker der Mensch in den Kraftfluss des Wassers eingreift, je höher der Druck wird, desto größer müssen die Sorgfalt beim Bau der Staumauer, die Zuverlässigkeit der Materialien und die Kunst der Ingenieure sein. Nicht mehr als fünf Zentimeter darf sich die Mauer vorwölben, gemessen mit hochpräzisen Lasern, sonst würde Alarm geschlagen.

Im Zweiten Weltkrieg versuchten alliierte Bomberverbände, den Staudamm zu zerstören. Doch der Anflug durchs Diemeltal war schwierig, die Talsperre blieb unversehrt. Auch das apokalyptische Vorhaben der Waffen-SS, die den Damm in den letzten Kriegstagen sprengen wollte, um den herannahenden Siegern nicht nur verbrannte Erde, sondern auch überschwemmte Täler zu hinterlassen, scheiterte in letzter Minute. Wasser als Waffe: Glückliche Umstände verhinderten ihren Einsatz.

Ihnen verdanke ich, dass ich am Fuß dieser künstlichen Felswand sitzen und über Kraftflüsse meditieren darf; über die Verwandlung von einer Energie in die andere, von Wasserkraft in Strom; über die Macht des Menschen, Naturgewalten zu bändigen, und seine Ohnmacht, wenn das mal wieder schiefläuft; und schließlich darüber, dass ich meinem Vater, dem Bruchsteinmaurer, mal zu Lebzeiten hätte sagen sollen, wie stolz ich auf ihn bin.

 Autor: Michael Gleich

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Seelenort: Kloster Flechtdorf

„Herkunft und Zukunft“

Ein Ruheraum jenseits von Updates und Downloads.

Gebäude und Teichanlage eines im 12. Jh. Erbauten Benediktinerklosters, das seit 2007 von einer ehrenamtl. Initiative renoviert und als Kulturzentrum betrieben wird.

Seelenort: Kloster Flechtdorf
Wanderwege: Seelenortewanderung „Kloster Flechtdorf“ oder entlang des Diemelsteigs
Parkplatz: Kloster Flechtdorf (Klosterstr., Flechtdorf)
Länge: 1,5 km

Die Geschichte und das Leben der früheren Generationen hier, das ist ein unendlicher Kosmos. Hunderte von Jahren haben ihre Spuren in diesen Mauern hinterlassen. Das ist das Spannende, darin einzutauchen, sich vorzustellen, wie es früher hier war. Aber dabei bleiben wir nicht stehen. Heute ist das Kloster auch ein modernes Kulturzentrum. Eigentlich wäre hier alles abgerissen worden, darum haben wir uns engagiert. Man kann ein 1000-jähriges Erbe nicht einfach zerstören.

Herkunft und Zukunft

Gebäude und Teichanlage eines im 12. Jh. erbauten Benediktinerklosters, das seit 2007 von einer ehrenamtlichen Initiative renoviert und als Kulturzentrum betrieben wird.

Könnten diese Steine sprechen, denke ich, als ich langsam um den weitläufigen Komplex flaniere: Sie hätten viel zu erzählen. Ursprünglich lagen die Kalksteine grob und grau in der Erde. Dann wurden sie fein behauen und als Quader sorgsam aufeinandergesetzt. Zu Mauern, die fast tausend Jahre lang lauschten. Den Liedern frommer Benediktinermönche. Dem Treiben sittenloser Äbte. Den Streitereien von Vögten und Grafen, die um die Besitztümer von Kloster Flechtdorf rangen. Sie hörten die Flüche der Söldner im Dreißigjährigen Krieg, die mordeten und brandschatzten. Sie erbarmten sich des  Seufzens der Kranken und Siechen, als das Kloster zum Hospital wurde. Sie rahmten Friedensgebete und Fürbitten. Sie erblühten, als jüngst Menschen kamen, eine Vereinigung gründeten und die hellgrauen Mauern seitdem pflegen und beleben. All das, was sie an Geschichten aufgesaugt haben, tausend Jahre lang, erzählen diese Steine. Dem, der sich Zeit nimmt, einlässt und zuhört.

Hier gibt es wenig Ablenkung. Das schlechte Mobilfunknetz in Flechtdorf mag für die Einheimischen eine Last sein. Für den, der ungestört in die Geschichte eintauchen will, entsteht ein Ruheraum jenseits von Updates und Downloads. Als Flechtdorfer Bürger kennt Helmut Walter dieses Dilemma der Abgeschiedenheit. Seit mehr als zehn Jahren führt er Menschen durch das Kloster. Vor allem engagiert er sich für dessen Erhaltung, zusammen mit seinen Mistreitern im Förderverein. „Die jungen Leute ziehen weg, dorthin, wo es Arbeit gibt und bessere Vernetzung“, erklärt er, „gleichzeitig liegt in der Ruhelage des Dorfes ein Reiz, der Besucher anzieht.“

Das Kloster, das vom 12. bis zum 16. Jahrhundert geistiges und wirtschaftliches Zentrum für ein weites Umland war, drohte in den Nuller Jahren zu verfallen und zu vermüllen. Die Flechtdorfer gründeten 2006 einen Verein, sammelten Geld, stellten Anträge beim Denkmalamt, ließen das Gebäude renovieren. Raum für Raum, immer wenn es neue Mittel gab. Ihr Herzensanliegen, so Helmut Walter, sei nicht nur die Erhaltung eines geschichtlichen Juwels. „Wir wollen ihm neue Lebendigkeit einhauchen.“ Sein Verein organisiert Camps, in denen Jugendliche bei der Sanierung mit anpacken. Der offene Innenhof verwandelt sich sommers in Konzertbühne und Open-Air-Kino. Im ehemaligen Kuhstall treffen sich Dörfler und Besucher zu Kaffee und Kuchen. Frischzellenkuren für den alten Klosterkörper.

Aber nicht alles passt zur Tradition. Es ist ein Balanceakt, Herkunft und Zukunft mit gegenwärtigen Aktivitäten stimmig miteinander zu verbinden. Anspruchsvolle Konzerte und sogar Tango in der Klosterkirche finden Anklang.

Man fand heraus, dass dieser Tanz eine spirituelle Dimension hat. Papst Franziskus hat ihn gern getanzt, als er noch Jorge Flores hieß, auch ein Zitat von Kirchenvater Augustinus ermutigte zu diesem Schritt: „Oh, Mensch, lerne tanzen, sonst wissen die Engel im Himmel mit dir nichts anzufangen.“

So stellt sich für die engagierten Flechtdorfer immer wieder die Frage, wie das geschichtliche Erbe neu belebt werden kann. Oder wie es Thomas Morus ausdrückte: „Tradition ist nicht das Halten der Asche, sondern das Weitergeben der Flamme.“ Im Gewölbe unter dem ehemaligen Tor-Turm treffen sie sich einmal im Monat zu einer Friedensandacht, knüpfen in stillem Beisammensein an mönchisches Leben an. Wie Walter erzählt, lassen sie sich selbst von Winterkälte nicht davon abhalten. „Klingt vielleicht verrückt, aber in der Meditation werde ich von innen her warm.“ Das Vortragen geistlicher Texte, in vielen Klöstern früher wie heute während der Mahlzeiten gepflegt, steht in Flechtdorf als „Lesefrühstück“ auf dem Programm. Brautpaare schätzen das Ambiente des Trauzimmers, um dort, wo Geschichte einen langen Atem bewiesen hat, den Bund fürs Leben zu schließen.

Immer wieder beschäftigen sich die Mitglieder des Klostervereins mit der Historie, entdecken neue Aspekte in der wechselhaften Geschichte, sind berührt von der Fülle ihrer Entdeckungen. So kamen sie auch auf die Geschichte mit dem Bier. In alten Aufzeichnungen wurde beschrieben, wie ein Abt mit eigenen Rezepturen experimentierte. Bier galt nicht als Genussmittel, sondern „als Erquickung der Kranken“. Neben Hopfen und Malz ließ er Kräuter dem Brau-Sud zusetzen: Waldmeister und Wermut, Salbei und Lavendel und andere. Die Flechtdorfer sammelten die entsprechenden Pflanzen und gewannen eine Brauerei, das Experiment zu wiederholen. Das Bier hatte eine ungewöhnliche Farbe: Es war grün. Für sauerländische Trinkgewohnheiten eine Herausforderung. „Aber es schmeckt herrlich erfrischend,“ sagt Walter mit einem Schmunzeln. Außerdem liege selbstgebrautes Bier im Trend. Craft Beer. Er hätte nichts dagegen, wenn das Kloster auch auf diese Weise wieder hip wird.

Autor: Michael Gleich

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Seelenort: Adorfer Klippen

„Das innere Kind“

Die roten Klippen sind ein guter Ort, um dem inneren Kind Auslauf zu gewähren.

Ehemaliger Eisenstein-Tagebau und bedeutender geologischer Aufschluss.

Seelenort: Adorfer Klippen
Wanderwege: Seelenortewanderung „Adorfer Klippen“ oder entlang des Diemelsteigs
Parkplatz: Wanderparkplatz (Giershagener Str., Adorf)
Länge: 12,3 km

Das innere Kind

Ehemaliger Eisenstein-Tagebau und bedeutender geologischer Aufschluss.

Barfuß habe ich mich angeschlichen. Kein Laut. Bloß nicht auf ein Ästchen treten, das knacken und mich verraten könnte. Es dämmert bereits. Hinter einem kleinen Hügel lege ich mich auf die Lauer. Gras und Moos, eine weiche Pirsch. Ich habe die beiden Eingänge der Dachsburg fest im Blick. Wird sich der heimliche Gräber mit dem schwarz-weißen Fell heute Abend zeigen? In der Nähe ist ein Maisfeld, da locken knackige Kolben, die er gerne abnagt. Mal schauen. Je länger ich liege und lauere, desto mehr verschwimmt die Szenerie der „Roten Klippen“, ein Naturdenkmal bei Adorf. Kindheitsbilder schieben sich darüber. Die gewaltigen Felsblöcke aus Eisenstein, 350 Millionen Jahre alt, werden zu den Wänden eines Canyons. Die Grablöcher, übrig geblieben von mittelalterlichem Bergbau, verwandeln sich in Verstecke der Indianer vor der anrückenden Kavallerie. Der dichte Ring wilder Rosen, der die roten Steine grün einrahmt, gewährt meinem Stamm Schutz vor Eindringlingen.

Ich bin Brauner Bär und soll der Nachfolger meines Vaters Großer Adler werden. Eines Tages ein weiser Häuptling, hoffentlich. Vater gibt all sein Wissen an mich weiter. Über die Erde, die uns ernährt, über die Pflanzen, die in unserer Heimat bei den Roten Klippen wachsen, über unsere Nachbarn, die Tiere. Der Dachs, hat er mir erklärt, als wir an der Dachsburg lauern, ist kein reiner Pflanzenfresser. Am liebsten verspeist er Regenwürmer. Für eine kleine Weile verlassen wir den Pirschposten und spazieren durch den von Felsen und Dornbüschen umstandenen Talkessel. An diesem Ort fühlt sich unser Stamm seit Generationen beschützt und geborgen. Vor den Tipis brennen kleine Lagerfeuer. Viel Flamme, wenig Rauch, um nicht von weitem gesehen zu werden. So haben wir es gelernt.

Vor uns liegt ein faustgroßer roter Stein. Puh, ist der schwer! Das liegt daran, sagt Vater, dass er zu mehr als der Hälfte aus Eisen besteht. Am Abhang, wo Sonne, Regen und Frost seit Jahrtausenden die Felsen bearbeiten wie ein Schnitzmesser, suchen wir Fossilien im Geröll. Genau hinschauen! Tatsächlich finde ich tierische Spuren, uralt, versteinert. Kopffüßer und Korallen, Dreilapp-Krebse und Seelilien.

Vor Urzeiten, erklärt Vater, war hier ein Meer. Kann ich mir gar nicht vorstellen. Doch, so war es. Im Meer gab es gewaltige feuerspeiende Ungeheuer, die Steine zum Schmelzen brachten und sie flüssig gen Himmel spuckten. Das waren die Vulkane. Sie sind der Grund, warum unser Land reich mit Eisen gesegnet ist. Es liegt in Schichten bis an der Erdoberfläche. Das ist fast nirgendwo sonst so. Unsere Urahnen mussten nicht mal Schächte graben, um ranzukommen. Sie mussten nur mal kräftig in den Boden stechen, und schon stießen sie auf die roten Eisensteine.

Ein paar Meter weiter entdecken wir einen Schmetterling, der wundersam blass-blau gefärbt ist. Das ist ein ziemlich trickreicher Typ, lockt mich mein Vater. Da bin ich gespannt: Warum? – Er legt seine Eier direkt vor Ameisenhaufen ab. Und die Ameisen tragen sie in ihr Nest. Da wachsen dann die Eier zu Larven; die können den Geruch der Ameisen perfekt nachahmen, sodass sie von ihnen gefüttert und gepflegt werden. – So wie der Kuckuck sein Ei in Nester von anderen Vögeln legt? – Genau! – Während wir weitergehen, zeigt Großer Adler auf Pflanzen und erzählt mir die Geschichten dazu. Diese lilafarbene heißt Moschusmalve, die sieht nicht nur gut aus, die kann man auch essen. Da, Wilder Thymian, auch ein schmackhaftes Kraut. Das mit den gelben Blütenblättern dort heißt Jakobskreuzkraut, wenn die Rinder viel davon essen, sterben sie an kaputter Leber, so wie Menschen, die zu viel Feuerwasser trinken. Eine andere heißt Rundblättrige Glockenblume, dabei hat sie gar keine runden Blätter – auf den ersten Blick. Als ich genauer schaue, sind sie oben schmal und laufen spitz zu, aber unten am Boden sind sie rund.

Das Schauen jedoch wird immer schwieriger. Es ist fast schon dunkel. Die Feuer vor den Tipis sind erloschen. Die Szenerie des Indianerlandes verblasst. Ich reibe mir die Augen. Immer noch liege ich im weichen Gras gegenüber der Dachsburg. Nichts rührt sich an den beiden fußballgroßen Löchern. Irgendwo in den Gängen dahinter, einige Meter tief im Boden vergraben, hält sich der Burgherr versteckt. Als ich kaum mehr etwas erkennen kann, räume ich den Beobachtungsplatz. Ich bin kein bisschen enttäuscht. Ich habe keinen Dachs gesehen, aber entdeckt, dass es immer noch einen kleinen Jungen in mir gibt, mit lebhafter Fantasie, stets bereit, zu pirschen und zu spielen und zu entdecken. Die Roten Klippen sind ein guter Ort, um den inneren Kindern Auslauf zu gewähren.

Autor: Michael Gleich

Wanderung zu den Seelenorten

Wir möchten euch einladen, sich selbst – wandernd oder lesend – auf den Weg zu machen, diese besonderen Plätze für sich zu entdecken und sich von ihnen inspirieren zu lassen.

Achtung: Die Seelenorte werden in Kürze beschildert. Aktuell sind sie ohne Beschilderung zu begehen.

Resonanz ist nichts Mechanisches, wie Michael Gleich zeigt. Sie kann für jede/n anders aussehen. Es braucht dazu etwas Wanderlust und Zeit. Und die Bereitschaft, still zu werden und nach innen zu blicken und zu lauschen.

Nach ihren Seelenorten gefragt, haben sich die Menschen in den Dörfern am Diemelsee aufgemacht, Gästen und Einheimischen die Plätze zu zeigen, an denen sie immer wieder Stille, Alltagsferne, Verbundenheit und Heimat, aber auch die Begegnung mit den großen Fragen und Freuden des menschlichen Lebens erleben.

Die Orte, die die Menschen am Diemelsee für euch ausgewählt haben, zeigen den besonderen kulturellen und natürlichen Reichtum des Sauerlandes und auch die große Offenheit der Menschen für ganz unterschiedliche Zugänge und Möglichkeiten des Erlebens.

Die Menschen am Diemelsee freuen sich, ihre Schätze mit euch zu teilen.

© Klaus-Peter Kappest

Broschüre zu den Seelenorten am Diemelsee

In der Seelenort-Broschüre Diemelsee erzählt unser Autor Michael Gleich die Geschichten der Sauerland-Seelenorte am Diemelsee als einer, der seine Heimat verließ, zurückkehrt und sie völlig neu erlebt.

Jeder der vier ausgewählten Orte am Diemelsee inspiriert auf seine ganz eigene Weise. Etwas dort berührt uns und wir gehen damit in Resonanz, antworten darauf mit Gefühlen und Gedanken.